Road to the future? Altkunststoffe im Straßenbau

Verbrauchten Kunststoff nicht als Müll, sondern als Werkstoff anzusehen, kann das Problem der vermüllten Ozeane verkleinern. Ein vielversprechender Ansatz ist der Einsatz im Straßenbau.

Weltweit wird bislang nur ein kleiner Teil des Altkunsstoffe recycelt. Ein Grund dafür ist, dass Recycling aufwändig und teuer ist. Zumindest dann, wenn man anschließend wieder hochwertiges Material haben möchte, für das es ähnlich viele Einsatzgebiete gibt wie für Neuware. Für minderwertiges Rezyklat hingegen, bei dem man auf die komplizierte Trennung unterschiedlicher Polymere verzichtet, ist die Nachfrage eher gering. Man kann Parkbänke daraus herstellen, Schneeschaufeln oder einfache Behälter, aber der Bedarf an solchen Gegenständen ist begrenzt. Wie aber wäre es, wenn man ein Einsatzgebiet fände, in dem sich riesige Mengen an Plastikmüll leicht verarbeiten ließe? Auch solcher zum Beispiel aus Folien, deren unterschiedliche Lagen vorher nicht voneinander getrennt werden müssten. Müll, der sonst auf Müllkippen landete oder in Verbrennungsanlagen? Ein solches Gebiet könnte künftig der Straßenbau sein. 

Seit einigen Jahren wird an verschiedenen Orten der Welt an Möglichkeiten geforscht, Altkunststoff Bau neuer Straßen zu verwenden. In den Niederlanden verfolgt die Baufirma VolkerWessels mit ihrem Projekt „Plastic Road“ seit 2015 das Ziel, Straßen künftig sogar komplett aus recyceltem Kunststoff zu bauen.

Genauer gesagt, aus industriell gefertigten Kunststoff-Modulen, die wie bei Lego-Bausteinen aneinandergesteckt werden. Der Altplastik-Rohstoff der Module kommt jeweils aus kommunalem Müll. Bei VolkerWessel verweist man auf zahlreiche Vorteile der Plastikstraße gegenüber konventionellen Fahrbahnen.  Der Untergrund muss zum Beispiel nicht aufwändig vorbereitet werden, die Straße „schwimmt“ quasi darauf und passt sich an. Da die Module innen hohl sind, können dort Elektroleitungen und Kanalisationsrohre gelegt und bei Bedarf auch recht einfach ausgetauscht oder ergänzt werden. Nachträgliche Grabungsarbeiten sind damit nicht mehr nötig. Der hohle Innenraum ermöglicht überdies das Anbringen von Sensoren, die sich mit jeweils vorhandenen Verkehrsmanagementsystemen verbinden lassen. Und dann ist das Ganze auch noch sehr leicht. Ein Quadratmeter wiegt nur 40 Kilogramm.  Auch bei den Kosten punktet die Plastikstraße, heißt es bei VolkerWessel. Einsparungen ergeben sich einerseits, weil man auf riesige Mengen an Sand, Split und Asphalt verzichten kann, vor allem aber durch eine deutlich verkürzte Bauzeit.

Dennoch scheint der Weg vielversprechend zu sein. Auch, weil wichtige Baustoffe wie zum Beispiel Sand mit der wachsenden Weltbevölkerung und der immer schnelleren Urbanisierung  knapper werden. Die Beratungsgesellschaft McKinsey schreibt in einer aktuellen Studie über die Zukunft des Straßenbaus, dass neue Materialien wie etwa Kunststoff helfen könnten, solche Herausforderungen zu meistern. Die ersten Versuche in den Niederlanden zeigten, dass Straßen mit oder aus Kunststoff bis zu 60 Prozent robuster seien, als herkömmliche. Auch die Autoren der McKinsey-Studie gehen davon aus, dass dies zu Kostensenkungen führen würde.  Bei einem jährlichen Investitionsvolumen von 100 Milliarden Euro bis 2030 allein in den europäischen Ländern seien Einsparungen von rund 30 Milliarden Euro pro Jahr möglich. Ein Großteil davon entfalle auf eine zunehmende Digitalisierung,    aber auch neue Materialien trügen ihren Teil zur Kostensenkung bei. Vor allem helfen sie, den Faktor Geschwindigkeit als größten Kostentreiber zu verringern. Alles in allem sagt McKinsey dem Straßenbau für die nächsten Jahre nichts weniger als eine Revolution voraus. In dessen Folge sei mit einem Rückgang der Kosten von zurzeit rund zwei Millionen US-Dollar auf 1,6 Millionen US-Dollar pro Straßenkilometer zu rechnen.   

Einen anderen Ansatz als VolkerWessels verfolgt die britische Firma MacRebur. Sie setzt darauf, recycelten Kunststoff bei der Asphaltherstellung beizumischen. Die Idee dazu kam Firmengründer Toby McCartney in Indien, wo er sah, dass Einheimische grob zerkleinerten Plastikmüll in Schlaglöcher stopften und anschließend ansteckten. „Wir fragen uns, was wäre, wenn es einen Weg für uns gäbe, dabei zu helfen, die weltweite Plastik-Epidemie zu bekämpfen“, sagte McCartney auf bei einem TED-Talk. „Wir kamen zu der Lösung, Pellets aus Kunststoffabfall in unsere Straßen zu geben, um einen Teil des Bitumen zu ersetzen.“  Das Ergebnis: Nicht nur kann mit der Methode von MacRebur ein Teil des Kunststoffabfalls wiederverwendet werden. Die Straßen erwiesen sich auch um bis zu 60 Prozent widerstandsfähiger. Außerdem halten sie zehn Mal so lange wie herkömmliche, ist man bei MacRebur überzeugt.

In der Wissenschaft werden die Möglichkeiten, Kunststoff im Straßenbau einzusetzen, ebenfalls seit längerem untersucht. Der deutsche Straßenbau-Experte Prof. Johannes Beckedahl, der lange an der Bergischen Universität Wuppertal arbeitete, findet es grundsätzlich gut, sich Gedanken über ein „Up-Cycling“ von Plastikmüll zu machen, steht aber Fertigteil-Lösungen wie bei VolkerWessels skeptisch gegenüber. Er bezweifelt, dass mit Modulen eine dauerhafte Straßenkonstruktion möglich ist. Die Module müssten so auf der Unterlage verlegt werden, dass überall dieselben Lagerungsbedingungen bestehen. Ansonsten würde sich jedes Modul oder Fertigteil unter Gebrauch ungleichmäßig setzen. Mit der Folge von möglichen Brüchen oder Stufenbildungen. Die Verarbeitung von Kunststoffabfällen zu Granulat hingegen beurteilt Beckedahl positiver. „Ein korrekt produzierter mit Kunststoffgranulat oder Gummigranulat, etwa aus Altreifen, modifizierter Asphalt und sein qualitativ hochwertiger Einbau kann eine vorteilhafte und Nutzungsdauer verlängernde Alternative zu herkömmlichen Asphalten sein“, so der Experte. Voraussetzung sei aber immer, dass die Rezeptur für eine modifizierte Asphaltmischung im Labor so festgelegt und geprüft wird, dass die Mischung für den Verwendungszweck optimiert ist. Problematisch könnte die Umweltverträglichkeit bei Straßen mit modifiziertem Asphalt sein, findet Beckedahl. Durch den Abrieb auf Straßen mit Kunststoffanteil könnte beispielsweise Mikroplastik freigesetzt werden.

Straßen aus oder mit recyceltem Kunststoffmüll haben dennoch grundsätzlich das Potenzial, einen wesentlichen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten. Sie können helfen, Ressourcen an Material und Fläche in großem Umfang zu schonen – und das überall auf der Welt, denn überall gibt es Straßen und überall entsteht die Ressource Kunststoffabfall. Noch ist aber nicht absehbar, inwieweit sich diese Bauweise etablieren und welche Machart sich dann als die Beste herausstellen wird.